Alles ist politisch – auch Du und ich

Vielleicht hast du diesen Satz auch schon mal gehört: „Das ist doch gar nicht politisch.“ Meistens fällt er, wenn jemand keine Diskussion führen will oder sich neutral geben möchte. Ich glaube: Das stimmt so nicht. Denn wenn du genau hinschaust, wirst du feststellen – (fast) alles ist politisch. Auch das, was auf den ersten Blick harmlos wirkt.

Was bedeutet eigentlich „politisch“?

Bevor ich weitermache: Was meine ich überhaupt, wenn ich von Politik rede? Politik ist nicht nur das, was im Bundestag oder in Talkshows passiert. Politik ist, wenn Entscheidungen getroffen werden, die unser Zusammenleben betreffen – sei es auf globaler Bühne oder bei dir um die Ecke. Es geht um Macht, Interessen und Verantwortung. Darum, wer gehört wird – und wer nicht.

Politik beginnt im Kleinen

Ich erzähle dir mal was aus meinem Alltag. Neulich bin ich mit dem Bus gefahren. Es war spät, und der Fahrer hat ein paar Leute einfach ohne Ticket durchgewunken. Eine ältere Frau ist eingestiegen und hat leise „Danke“ gesagt. Ein kurzer Moment – aber politisch. Warum? Weil es um Zugang geht. Um Teilhabe. Um die Frage, wer sich Fahrkarten leisten kann, wer mitgedacht wird – und wer durchs Raster fällt.

Oder: Du gehst in den Supermarkt. Die Entscheidung, ob du regionale Produkte kaufst oder Billigware aus dem Ausland, ist politisch. Denn du triffst damit eine Wahl – für oder gegen faire Arbeitsbedingungen, Umweltstandards und Produktionsketten.

Neutral sein – geht das überhaupt?

Viele sagen, sie seien „unpolitisch“. Ich verstehe das – manchmal will man einfach nur seine Ruhe. Aber wenn du dich nicht positionierst, tust du es indirekt trotzdem. Denn Schweigen stärkt oft den Status quo. Und der ist nicht immer gerecht. Politik passiert nicht erst, wenn du ein Parteibuch hast oder demonstrieren gehst. Sie passiert auch dann, wenn du in einer WhatsApp-Gruppe eine sexistische Bemerkung unkommentiert stehen lässt. Oder wenn du einer Person aus einer Minderheit die Tür aufhältst und ihr ein Lächeln schenkst.

Alltag ist Meinung

Denk mal an dein Lieblingslied, die Filme, die du schaust, die Kleidung, die du trägst – sie alle transportieren Werte, Bilder, Rollen. Wenn ich zum Beispiel Shirts mit feministischen Botschaften trage oder mir Dokus über den Klimawandel reinziehe, sage ich damit etwas aus. Vielleicht nicht laut, aber spürbar. Und damit werde ich politisch.

Dasselbe gilt für dich, wenn du zum Beispiel deinen Friseur wegen seines ausländischen Akzents nicht ernst nimmst – oder ihm gerade deshalb ein gutes Trinkgeld gibst. Jede kleine Geste kann eine gesellschaftliche Haltung zeigen. Manchmal bewusst, manchmal unbewusst.

„Das wird man ja wohl noch sagen dürfen …“

Kennst du diesen Satz? Der kommt meistens dann, wenn jemand eine problematische Meinung äußert – rassistisch, sexistisch oder queerfeindlich – und sich dann über „Cancel Culture“ beschwert. Auch diese Debatte ist hochpolitisch. Denn sie dreht sich um Meinungsfreiheit, Grenzen und darum, wer in der Gesellschaft Macht über Worte und Deutungen hat.

Ich finde: Kritik ist kein Maulkorb. Sie ist Ausdruck einer lebendigen Demokratie. Wir dürfen Dinge hinterfragen – und wir dürfen, ja, auch mal streiten.

Privilegien sehen – und nutzen

Ich bin ein Mann. Allein das bringt mir gewisse Vorteile, die ich oft gar nicht bemerke. Ich werde selten ungefragt über mein Aussehen bewertet. Niemand erklärt mir ungefragt meine eigene Arbeit. In vielen Situationen werde ich ernst genommen, ohne dass ich dafür kämpfen muss.

Das ist nicht mein „Fehler“. Aber ich kann mich entscheiden, ob ich diese Vorteile blind genieße – oder sie nutze, um solidarisch zu sein. Wenn ich zum Beispiel bei der Arbeit bewusst darauf achte, dass jede:r zu Wort kommt, oder ich einem Kollegen widerspreche, der abfällig über Kolleginnen spricht, dann ist das politisches Handeln im Alltag.

Politik ist keine Partei – sie ist Haltung

Natürlich kannst du Mitglied einer Partei sein, dich engagieren, Plakate kleben oder im Stadtrat sitzen. Aber das ist nicht die einzige Form von Politik. Viel wichtiger ist: Wie stehst du zu den Dingen? Hast du eine Haltung? Und bist du bereit, danach zu handeln – auch wenn’s unbequem wird?

Ich weiß, das klingt idealistisch. Aber ich glaube, wenn wir alle anfangen würden, unsere eigene Wirkungskraft zu erkennen, könnten wir echt was bewegen.

Und jetzt?

Du musst kein:e Superheld:in sein. Es reicht, wenn du bewusst durch deinen Alltag gehst. Wenn du Fragen stellst. Wenn du dich informierst. Wenn du offen bleibst – und Haltung zeigst.

Denn ja: (Fast) alles ist politisch. Die Art, wie wir leben, konsumieren, sprechen, lieben, arbeiten, denken. Und je mehr wir uns dieser Dimension bewusst werden, desto größer ist die Chance auf Veränderung.



Fazit: Wenn du sagst, Politik gehe dich nichts an, dann sage ich: Doch. Weil du ein Teil dieser Gesellschaft bist – mit Stimme, mit Herz, mit Haltung. Und die brauchst du nicht nur im Parlament, sondern schon beim nächsten Gespräch an der Supermarktkasse.

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