In der sechsten Klasse, während des Gesellschaftslehrekurses, hatte unser Lehrer, Herr T., eine außergewöhnliche Idee: Unsere Klasse sollte sich mit dem damals heiß diskutierten Thema des Neubaus des Kassel-Calden-Flughafens auseinandersetzen. Dabei ging es nicht nur darum, Fakten zu sammeln oder unsere eigene Meinung zu äußern. Nein, Herr T. wollte, dass wir einen Schritt weiter gehen – dass wir lernen, zu argumentieren, uns in andere Perspektiven hineinzuversetzen und respektvoll zu diskutieren. Und ich sage Dir: Diese Erfahrung hat mir Lektionen fürs Leben gegeben.
Die Ausgangssituation: Von Meinungen und Perspektiven
Herr T. teilte unsere Klasse in zwei Hälften – die linke Seite des Raums war pro, die rechte contra. Wo wir persönlich standen, spielte keine Rolle. Ich landete in der Pro-Gruppe, obwohl ich innerlich klar dagegen war, dass der Flughafen gebaut wird. Meine Einstellung war stark durch meine Mutter geprägt, die in ihrer Jugend gegen den Ausbau der Startbahn West in Frankfurt demonstriert hatte. Du kannst Dir sicher vorstellen, wie wenig begeistert ich war, plötzlich das Gegenteil meiner Überzeugung vertreten zu müssen.
Doch genau das machte diese Aufgabe so besonders – sie zwang uns, über unseren Tellerrand hinauszublicken und Argumente zu finden, die nicht unserer eigenen Meinung entsprachen.
Vorbereitung: Argumente sammeln und Strategien entwickeln
Wir hatten eine Woche Zeit. Für die Hausaufgaben sollten wir die Zeitung lesen und Argumente finden. Während des Unterrichts arbeiteten wir in unseren Gruppen: Wir sammelten unsere Gedanken, entwickelten Argumentationsstrategien und wählten zwei Sprecher:innen aus, die unsere Position in der abschließenden Diskussionsrunde vertreten sollten.
Ich war damals viel zu schüchtern, um selbst zu sprechen, und habe mich deshalb voll darauf konzentriert, unsere Strategie mitzugestalten. Irgendwann kam mir eine entscheidende Idee: Warum sollten wir uns nur auf unsere eigenen Argumente konzentrieren? Warum nicht auch die Argumente der anderen Gruppe vorausahnen und gezielt widerlegen? Wer, wenn nicht ich, der innerlich eigentlich die gleiche Meinung wie die Gegnergruppe hatte, konnte ihre Position besser durchleuchten und potenzielle Schwächen finden?
Die Diskussion: Vorbereitung zahlt sich aus
Der große Tag kam. Unsere Gruppe war vorbereitet wie nie. Wir hatten nicht nur überzeugende Argumente für den Flughafenbau, sondern auch Gegenargumente zu nahezu jedem Punkt, den die andere Seite hätte bringen können. Als die Diskussion begann, zeigte sich schnell, dass unsere Strategie aufging. Unsere Gegner:innen kamen kaum dazu, ihre Position zu verteidigen, weil wir ihre Argumente schon im Keim entkräften konnten.
Ich saß zwar nicht auf der Bühne, aber in mir drin war ich unglaublich stolz. Unsere Arbeit hatte sich gelohnt. Wir haben nicht nur „gewonnen“, sondern bewiesen, dass man durch sorgfältige Vorbereitung und das Verstehen anderer Perspektiven jede Diskussion auf eine ganz neue Ebene heben kann.
Die Lektionen fürs Leben
Seit diesem Tag begleitet mich diese Erfahrung. Ich habe nicht nur gelernt, wie man erfolgreich diskutiert, sondern auch, wie wichtig es ist, einen respektvollen Umgangston zu wahren – besonders dann, wenn man nicht einer Meinung ist. Und ich glaube, genau das kannst Du auch in Deinem Leben anwenden. Hier sind die drei wichtigsten Lektionen, die ich aus dieser Erfahrung mitgenommen habe:
1. Respekt ist das Fundament jeder Diskussion. Egal, wie sehr Du anderer Meinung bist – lass Dein Gegenüber ausreden, höre wirklich zu und vermeide persönliche Angriffe. Eine Diskussion gewinnt an Wert, wenn sie auf Respekt basiert.
2. Bereite Dich vor. Nimm Dir die Zeit, Deine eigenen Argumente zu durchdenken, aber vergiss dabei nicht, auch mögliche Gegenargumente zu hinterfragen. Was könnte Dein Gegenüber sagen? Und wie kannst Du darauf reagieren?
3. Perspektivenwechsel macht Dich stärker. Sich in die Lage der anderen Person zu versetzen, eröffnet Dir neue Blickwinkel. Es hilft nicht nur in Diskussionen, sondern auch im Alltag, Konflikte besser zu verstehen und Lösungen zu finden.
Warum das alles für Dich wichtig ist
Vielleicht denkst Du jetzt: „Klar, klingt gut, aber warum sollte ich das in meinem Alltag anwenden?“ Ganz einfach: Diskussionen sind nicht nur etwas für Politiker:innen oder Wissenschaftler:innen. Sie sind ein Teil unseres täglichen Lebens. Egal, ob Du mit Freund:innen über die Urlaubsplanung sprichst, mit Kolleg:innen eine Lösung für ein Problem finden musst oder in einer Partnerschaft unterschiedliche Ansichten aufeinanderprallen – die Fähigkeit, respektvoll zu argumentieren, macht den Unterschied.
Ich verspreche Dir, wenn Du anfängst, diese drei Lektionen bewusst in Deinem Alltag einzusetzen, wirst Du schnell merken, wie sich die Dynamik Deiner Gespräche verändert. Du wirst nicht nur überzeugender wirken, sondern auch das Vertrauen und den Respekt Deiner Mitmenschen gewinnen.
Fazit: Eine Lektion, die bleibt
Es ist erstaunlich, wie eine einzige Schulstunde ein ganzes Leben prägen kann. Die Diskussion über den Kassel-Calden-Flughafen war für mich mehr als nur eine Übung – sie war ein Meilenstein. Und ich bin sicher, dass auch Du von dieser Herangehensweise profitieren kannst. Probier es aus und lass mich wissen, wie es für Dich funktioniert!